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Vororientierungen [Stand 1985]                                 Seite 100
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Südwestfunk (SWF): I. Zentralstudio Baden-Baden


1) Aufnahmeräume (heutige Situation kurzgefaßt)

   In der SWF-Zentrale Baden-Baden ist das Hans-Rosbaud-Studio (Musik-
studio, Studio 5) der Dreh- und Angelpunkt der klassischen Musikproduk-
tion. Von den zahlreichen Außenräumlichkeiten, in denen Konzerte mitge-
schnitten werden, ist wohl die Donaueschinger Donauhalle die prominen-
teste.


2) Rahmendaten zur Entwicklung

   Das Sendegebiet des SWF umfaßt Rheinland-Pfalz und Süd-Baden-Würt-
temberg. Landsmannschaftlich und kulturell gesehen, ist dies zweifellos
ein kontrastreiches Gebilde, und so ist auch nicht verwunderlich, daß
zur Versorgung eine ganze Anzahl Studios und Funkhäuser aufgeboten
werden. Selbständige Musikproduktionen stellen allerdings nur fünf
Häuser her: Die Zentrale in Baden-Baden und die Landesstudios Tübingen,
Freiburg und Rheinland-Pfalz, wobei das Studio Rheinland-Pfalz mit dem
Funkhaus in Mainz und dem Zweigstudio in Kaiserslautern gleich zwei
solcher Produktionsstätten besitzt. Sie alle sind hier im Verzeichnis
mit Aufnahmen vertreten. Man muß aber einräumen, daß der Beitrag der
kleinen Studios nur einen bescheidenen Umfang hat, verschwindend klein
geradezu, wenn man ihn der Produktion der einstigen "Strawinsky-Hoch-
burg" Baden-Baden gegenübergestellt.
   Ende Juli/Anfang August 1945 wurde Baden-Baden zum Zentrum der
französischen Besatzungszone. Das Oberkommando hatte seinen Sitz dort
und auch die zahlreiche Verwaltungsabteilungen umfassende Militärregie-
rung (Gouvernement Militaire de la Zone Française en Allemagne) war dort
einquartiert. Eine dieser Abteilungen, die Section Radiodiffusion - sie
gehörte zur Division de l'Information - unternahm Mitte September 1945
erste tastende Schritte, bereits mehr oder minder separat angegangene
Rundfunkaktivitäten mit dem Ziel zu koordinieren, im größeren Teil der
Besatzungszone eine deutsche Rundfunkanstalt aufzubauen. (Der kleinere
Teil, das Saarland, durchlief eine eigene Rundfunkentwicklung, die
allerdings in ihrer Anfangsphase eine Zeit lang eng mit Baden-Baden
verbunden war, vgl. unten bzw. SR.)
   Die Regionalstrukturierung des projektierten Rundfunks lag schon früh
fest (und bis heute hat sich an diesem Gebilde kaum etwas geändert): Die
Zentrale sollte im militärischen Hauptquartier Baden-Baden entstehen und
es sollte Länderfilialen in Tübingen, Freiburg, Kaiserslautern und
Koblenz geben. Selbst Mainz taucht schon in den damaligen Konzepten auf,
wenn auch in anderer Funktion, nämlich als möglicher Nachfolger von
Baden-Baden.
   Die Umsetzung der Planungen in die Praxis stieß indessen auf Schwie-
rigkeiten. Irgendwelche rundfunktechnischen Fundamente waren nicht vor-
handen. Voll ausgewachsene Funkhäuser hatte es in diesen Regionen nie
gegeben; was an Nebensendern existiert hatte (in Freiburg, Kaisers-
lautern, Koblenz und Trier) war ebenso wie fast alle Sendeanlagen zer-
stört. Wie also stampft man in einer solchen Lage eine Rundfunkanstalt
aus dem Boden? Daß es möglich ist und wie man so etwas macht, zeigte der
Pioniergeist eines konzessionierten Privatsenders: Radio Koblenz (vgl.
Landesstudio Rheinland-Pfalz).
   Im Oktober 1945 wurden in Baden-Baden die ersten deutschen Mitar-
beiter eingestellt, unter ihnen Joachim E. Berendt als Archivar am 8.
Oktober, Heinrich Strobel als Leiter der Musikabteilung erst nach ihm,

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am 15. November. Am 31. März 1946 begann der regelmäßige Sendebetrieb
des Südwestfunks gleichzeitig in Baden-Baden, Freiburg und Koblenz. Kai-
serslautern folgte am 9. Juli, Tübingen kam erst 1950 hinzu. Während des
ersten halben Jahres zählte zu diesem Kreis der "Nebenstationen" auch
der 14 Tage ältere Sender Radio Saarbrücken. Er übernahm große Teile des
SWF-Programms. Derlei Übernahmen sind heute in ähnlicher Form wieder
gang und gäbe. Man denke z. B. in der Klassik an die SWF-SDR-SR-Verbund-
programme (begonnen wurden diese neuerlichen Gestaltungsallianzen von
SWF und SDR am 2. Mai 1967 - Klassik: 6. Mai - und von SWF und SR am 2.
Januar 1968).
   Ein wichtiges Datum in der Geschichte des SWF ist der 30. Oktober
1948. An diesem Tag wurde er durch die Verordnung Nr. 187 eine Anstalt
des öffentlichen Rechts (die Militärs waren aber noch längst nicht abge-
treten, und Zensur bestand überdies noch bis 1950). Am Rande sollte man
vielleicht noch erwähnen, daß der SWF in der allerersten Aufbauphase die
Arbeitsbezeichnung "Südwestdeutscher Rundfunk" trug. Die heutige kürzere
Fassung tauchte erst im Dezember 1945 auf (weiterführende Literatur zur
Entwicklung des SWF vgl. Bausch 1, 1980).
   Als Funkhaus fungierte das außerhalb Baden-Badens am Hang des Fre-
mersbergs gelegene, für diesen Zweck am 1. Oktober 1945 beschlagnahmte
Hotel "Kaiserin Elisabeth", Moltkestraße 5 (auf Schildern lediglich:
"Hotel Elisabeth"). Ihm wurden im Laufe der Zeit noch weitere Häuser zur
Seite gestellt, so z. B. als erstes schon 1946 das Hotel "Tannenhof". Im
"Elisabeth" befand sich der einzige größere Raum, der sogenannte "Spei-
sesaal". Mit primitivsten Mitteln hergerichtet, bildete er unter der
hoheitsvollen Bezeichnung Studio 1 eine Art Mehrzweckstudio. Sein Raum-
volumen betrug etwa 360 cbm, die Akustik war wandelbar - mit Stehlei-
tern, Stangen, Decken usw. Daneben hatte man noch einen kleinen Raum
namens Studio 2 zur Verfügung. Er diente als Sprecherraum, ist aber wohl
besser mit der Bezeichnung "Allzweckzimmer" charakterisiert. Lange hat
diese ärgste Behelfsmäßigkeit nicht angedauert. Schon 1947 wurden die
Einrichtungen "verfeinert". Anfang 1949 brachte die Erstellung eines
vollständigen Hörspielkomplexes im "Tannenhof" spürbare Entlastung für
das "Speisesaal-Studio". Innenraumfotos (Ausschnitte) vom Studio 1
während der Anfangszeit 1946/47: SWF, Ein Jahr Südwestfunk, [1947] (mit
einer Kapelle unter Leo Meyer-Mertens) und SWF intern, 12/1983; während
der Verfeinerungsprozedur ca. 1947: SWF intern, 3/1977; nach dem letz-
ten, aufspaltenden Umbau zum Sendekomplex 1 (Inbetriebnahme am 1. April
1951): Rundfunk-Fernseh-Jahrbuch 1953 und SWF intern, 1/1984.
   Für große Besetzungen oder gar für Konzertveranstaltungen war das
"Speisesaal-Studio" selbstverständlich nicht geschaffen; hierfür setzte
man Räume im beschlagnahmten Kurhaus ein: 1) den im Mittelteil (Zentral-
trakt) gelegenen, 1824 dem Betrieb übergebenen "Gartensaal" (ursprüng-
lich "großer Konversationssaal" genannt, Quader; 1966 gründlich reno-
viert, am 26. August 1966 wiedereröffnet, nun nach dem Erbauer "Wein-
brennersaal" genannt; Innenraumfoto nach der Renovierung: Badisches
Tageblatt, 27. August 1966); 2) den "Roten Saal" (Salle Louis-Quatorze)
im rechten Flügel, im Spielcasino (1855 eröffnet, rechteckiger Grundriß,
der "kostbarste" der mit Marmor-, Gold- und Prunkzierat übersäten Spiel-
salons; Innenraumfotos: Stürzenacker, 1918 und Fischer, 1975); 3) den
1916 eingeweihten großen Bühnensaal (großer Kurhaus- bzw. Konzertsaal)
im linkel Flügel (rechteckiger Grundriß, gewölbte, mit verzierten Kork-
kassetten verschalte [Tonnen-]Decke, Fenster, U-Rang, 868 Sitzplätze,
zusammen mit dem unter der Rückwandempore eingebauten, durch Versenken
der Trennwand einbeziehbaren kleinen Saal ca. 1200 Sitzplätze, Bedarfs-
bestuhlung; 1959/60 völlige Neugestaltung, u. a. durch Eingliederung des
kleinen Saals und durch begradigende Kaschierung der Tonnendecke; zwan-
zig Jahre später erneut völlige Umgestaltung und Modernisierung, aber

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auch Restaurierung der Tonnendecke [mit Gips!], ca. 1150 Sitzplätze,
Bedarfsbestuhlung, Wiedereröffnung: 25. August 1980, seither Bezeichnung
nach den ehemaligen Spielcasinopächtern: Bénazetsaal [Vater und Sohn,
Sohn Edouard gab u. a. die Prunksäle und die Iffezheimer Rennbahn in
Auftrag]; Foto vom Innenraum im ursprünglichen Zustand: Stürzenacker,
1918; Fotos von der Bühne zur Zeit der Sendesaalfunktion, alle mit dem
Rundfunkorchester [vgl. unten]: SWF, Ein Jahr Südwestfunk, [1947],
Schörken, 1981 und Dibelius, 1981).
   Im großen Bühnensaal fanden von 1946 bis 1950 die gerühmten, live
oder als Mitschnitt übertragenen Sonntagskonzerte des Sinfonieorchesters
statt, wobei das Orchester in einem ganz aus Holz gefertigten Bühnenqua-
der seinen Platz hatte. Zur Größe der Bühne gibt Stürzenacker an, es
hätten bis zu 300 Mitwirkende auftreten können. Der Saal besaß neben der
oben erwähnten Tonnendecke aus Korkplatten reichlich Samt- und Plüsch-
zierwerk. Alles in allem, schon vom bloßen Aussehen her beurteilt, ein
akustisch wenig ansprechendes Gebilde. (Stürzenacker zu seinem Werk:
"... ist man hier zu dem Grundsatz zurückgekehrt, die Musikstrahlen in
möglichst ungebrochener Linie, also ohne Rückhall und Reflex, zum Ohr
des Besuchers zu leiten; nur dadurch ist - eine Ausdehnung des Saales
über 35 Meter ausgeschlossen - eine warme und ganz klare Klangwirkung
möglich." Jüngere Bewertungen der Klangwirkung sehen das anders, eine
von 1959 lautet z. B. "einfach miserabel".) Für Studioproduktionen
kleiner oder mittlerer Besetzungen und für Proben aller Art benutzte man
meist den Roten Saal, der, obwohl mit Teppichen ausgelegt, wegen seines
tausendfach schallverteilenden Krimskrams an Decke und Wänden akustisch
wohl noch am geeignetsten war. Zudem ließ sich hier der günstige Umstand
nutzen, daß der mit ihm durch einen großen Durchgang verbundene "Weiße
Wintergartensaal" (Salle Louis-Seize) quasi als natürliche Nachhall-
kammer eingesetzt werden konnte. Wann genau die Funktion des Roten Saals
als Studio endete, ist nicht klar. Da aber die Spielbank nach der durch
die Kriegsumstände erzwungenen Schließung am 1. April 1950 wiedereröff-
net wurde, ist nur schwer vorstellbar, daß der Saal dem SWF noch über
diesen Termin hinaus zur Verfügung gestanden hat. Anders liegen die
Dinge beim großen Bühnensaal: Er wurde, wie z. B. der Konzertmitschnit
Chant du rossignol/Rosbaud vom 1. Oktober 1950 zeigt, bis zur Inbetrieb-
nahme des Musikstudios genutzt (vgl. unten). Man darf sich die Sache
aber nicht so vorstellen, als hätte der SWF über den Saal frei verfügen
können. Das Gegenteil ist der Fall: Es fanden dort alle möglichen Veran-
staltungen statt und überdies "bespielte" ihn das Städtische Theater
zunehmend als "Großes Haus".
   In den bislang verfügbaren (Kurz-)Beschreibungen der "SWF-im-Kurhaus-
Zeit" werden nur der große Bühnensaal und der Rote Saal genannt. Dabei
kommt über deren Funktion kein klares, detailliertes Bild zustande.
Außerdem waren das im Kurhaus nicht die einzigen Säle. Es fanden auch
Proben im Gartensaal statt und es gab im Casino z. B. noch den ehema-
ligen "grünen Ballsaal" (Salle Louis-Treize). Auf den kleinen Bühnensaal
wurde oben schon hingewiesen. Mit anderen Worten: Es gibt noch viele
unbeantwortete Fragen, und deshalb erscheint es nicht besonders ratsam,
rückwarts, d. h. von der Literatur her, den Aufnahmen jeweilige Örtlich-
keiten zuzuordnen. Natürlich kann man bei manchen Produktionen den
Roten Saal annehmen, aber einigermaßen gesichert ist dies keineswegs.
Weiterhelfen können hier nur Aktennachforschungen, wenn sie noch möglich
sind! Was die akustischen Ergebisse angeht, so ist man angesichts der
Provisorien mehr als überrascht. Unter den frühen Rosbaud-Aufnahmen, die
überprüft werden konnten, waren einige darunter, die erstaunlich gut
klangen. Insbesondere gilt dieses Urteil für das Oktett von 1950 (zur
tontechnischen Arbeit im Haus Elisabeth und im Kurhaus vgl. Send, 1977).
   Um aus all den Provisorien herauszukommen, begann man auf der

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"Funkhöhe" zu bauen, und so entstand nach und nach aus der Ansammlung
von Kurhotels der im Pavillon-System konzipierte Funkkomplex. Das erste
Gebäude, das zumindest für die klassische Musikproduktion neue Verhält-
nissse brachte, war das am 26. November 1950 eingeweihte "Musikstudio"
(Betriebsaufnahme: 15. November). Es enthält zwei Studios, den großen
Saal (Studio 5) und das Kammermusikstudio 6. Dieses kleine Studio mit
nur ca. 330 cbm Rauminhalt ist auf Karteikarten nur äußerst selten
verzeichnet. Von daher zu urteilen, war es sogar seit Mitte der 50er
Jahre nicht mehr im Einsatz, denn seit dieser Zeit taucht bei Kammer-
musik als Angabe durchgängig nur "Musikstudio" und "Studio 5" auf. In
der Angabe "Musikstudio" steckt allerdings eine gehörige Portion
Unsicherheit, denn dieser Begriff steht sowohl für das Gebäude als auch
für das Studio 5. Da aber das kleine Studio dem Vernehmen nach tatsäch-
lich seit Jahren für Kammermusik nicht mehr verwendet wird, gilt für
dieses Verzeichnis die folgende Regelung: "Musikstudio" wurde durch
"Studio 5" (Abkürzung: St5) ersetzt, wenn der jeweilige Fall eindeutig
schien; bei zweifelhaften Fällen jedoch, z. B. Soloklaviermusik, blieb
"Musikstudio" (Abkürzung: MSt) stehen. 1963 wurde das Gebäude in Hans-
Rosbaud-Studio umbenannt. Im Grunde besteht hier das gleiche Problem.
Doch da der Begriff fast nur im Zusammenhang mit Konzertveranstaltungen
auftaucht (hausintern blieb man im allgemeinen bei Musikstudio oder
Studio 5), ergeben sich in diesen Fällen kaum Identifaktionsunsicher-
heiten. Es sollte vielleicht noch ergänzt werden, daß die Fernseh-
abteilung auch ein "Studio 5" besitzt, das gelegentlich ebenfalls für
Klassikaufgaben herangezogen wird.

RR Studio 5: rd. 6300 cbm (rechteckiger Grundriß, Langswände mit
   Fenstern), 1,7 sec/Q 1969 (bepolsterte Bestuhlung mit einer reflek-
   tierenden PVC-Plane abgedeckt; 1,45 sec/Q 1956, ohne Plane), großes
   Sinfonieorchester mit Chor, ca. 360 Sitzplätze (in einer Ebene).
   Innenraumfotos (Ausschnitte): Weingärtner/Luniak/ Enders, 1963
   (Ausschnitt, mit Abdeckplane); Haller/Straub/Tauscher, 1969 (Bühnen-
   partie mit Orchester); SWF intern, 5/6 1977 (Ausschnitt, in Richtung
   Zuschauerraum).

   Als zweite Stufe des Bebauungsplans wurde am 21. August 1953 der
Unterhaltungs- und Hörspielkomplex (UKO) dem Betrieb übergeben. Er
enthält u. a. das rd. 2400 cbm umfassende Studio 1 (ca. 70 Sitzplätze,
Bedarfsbestuhlung). Dieses Studio ist ein Konzert- und Aufnahmeraum, der
vor allem für das Tanzorchester konzipiert wurde. Das Tanzorchester
hatte seit etwa Mitte 1950 im Gesellschaftssaal des Hotel-Restaurants
"Laube" (Baden-Oos, Jagdhausstrasse 5) gearbeitet. Innenraumfotos des
Studio 1 (Ausschnitte): Heck/Westphal, 1955 und SWF, Technische Blätter,
1/1966.
   Am 15. August 1954 wurde das neue Funkhaus, Hans-Bredow-Straße 12, in
Betrieb gesetzt. Das Haus "Elisabeth" hatte als Sendezentrale ausge-
dient. Zurück blieben Abteilungen wie Verwaltung, Direktion etc. Ende
1983 wurde das architektonisch ausgesprochen hübsche Gebäude - es war
mittlerweile in SWF-Besitz gelangt - abgerissen. [Anmerkung: Hätten
damals heutige architektonische Bewahrungsvorstellungen geherrscht, wäre
der Bau mit Sicherheit unter einen Schutzbann gestellt worden.]


                         Abbildungen
        Topographie, Grundriß des Musikstudios, Fotos
            vgl. Literaturverzeichnis (fehlt noch)



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3) Sinfonieorchester, Donaueschinger Musiktage, ars nova, Strawinsky
   beim SWF, Rosbaud, "Pantographie"

   Das Sinfonieorchester des Südwestfunks (so die heutige Bezeichnung)
hieß von 1946 bis 1948 Großes Orchester des Südwestfunks (oft mit dem
Zusatz: Baden-Baden) und von ca. Oktober 1948 bis Anfang 1966 Süd-
westfunk-Orchester. Der Arbeitstitel während der Aufbauzeit lautete:
Orchester des Südwestdeutschen Rundfunks ("Philharmonisches Orchester
Baden-Baden", wie in SWF intern 4/1976 angegeben, erscheint sehr frag-
lich).
   Ein Chor wird vom SWF nicht unterhalten; zum Einsatz kommen
Gastchöre, so z. B. der Chor der Staatlichen Hochschule für Musik
Freiburg im Breisgau.

OO Sinfonieorchester des Südwestfunks. Aufbau im November 1945 von
   Gotthold Ephraim Lessing (Dienstantritt: 1. November) und Heinrich
   Strobel (Dienstantritt: 15. November) aus Resten des Baden-Badener
   Kurorchesters begonnen, erstes Konzert am 31. März 1946 unter Gustav
   Görlich (Unterhaltungsprogramm); Chefdirigenten: Lessing (1945-1948),
   Rudolf Albert (März bis Oktober 1948), Hans Rosbaud (September? bzw.
   Oktober 1948-1962), Ernest Bour (1964-1979), Kazimierz Kord (seit
   1980).

   Im Juli 1946 wurde nach zwanzigjähriger Unterbrechung das Donau-
eschinger Musikfest unter dem Titel "Neue Musik 1946" wiedereröffnet;
Veranstalter war - wie einst auch - die "Gesellschaft der Musikfreunde
Donaueschingen" (früher: ... zu Donaueschingen). Vieles ähnelte sich,
doch ein gravierender Unterschied bestand: Rundfunk hatte sich einge-
funden. Die Anstalt war Radio Stuttgart, also derjenige Sender der
Region, den die amerikanische Besatzungsmacht kontrollierte. Er half
nicht nur in technischen Dingen (soweit die bescheidenen Mittel dies
ermöglichten), er stellte auch sein Orchester als Musikerreservoir zur
Verfügung, eine in der damaligen Zeit geradezu fundamentale Unter-
stützung. Ob es darüber hinaus auch irgendwelche Direktsendungen oder
gar Mitschnitte gegeben hat, war nicht herauszufinden. Sollte man
wirklich schon soweit gewesen sein? 1947 fand noch einmal ein Fest statt
(wieder im Juli und wieder mit Radio Stuttgart), dann stockte das Unter-
nehmen erneut.
   Die Wiederaufnahme drei Jahre später, am 9./10. September 1950,
brachte eine einschneidende Neuerung insofern, als man die musikalische
Planung und Abwicklung Heinrich Strobel und mit ihm dem SWF übertrug.
Was beabsichtigt war, geschah: Es verflog sehr schnell die als hinter-
wäldlerisch empfundene Betulichkeit der beiden Anfangsjahre. Schon rein
äußerlich zeigt sich dieser Wandel an der Änderung der Titelgebung zum
metropolitanen "Donaueschinger Musiktage für zeitgenössische Tonkunst".
Man beachte, wie unterschiedlich diese Bezeichnung auch von der
ursprünglichen der zwanziger Jahre ist: Kammermusik-Aufführungen zur
Förderung zeitgenössischer Tonkunst. "Donaueschinger Musiktage", die
landläufige Kurzform der Neufassung, wurde im übrigen erst 1970/71
offiziell (vgl. die Programmhefte, wobei das Heft 1970 sozusagen als
Zwischenstadium beide Versionen enthält: die lange und die kurze;
Veranstaltungsturnus: jährlich, seit 1951 jeweils im Oktober).
   Als Veranstaltungsraum diente bis einschließlich 1954 die sogenannte
alte Festhalle. Sie war ein Behelf; man hatte sie, da die eigentliche
Festhalle des Ortes zerstört war, 1946 für das erste Musikfest durch
einen Umbau aus der fürstlichen Reithalle gewonnen. 1955 fiel auch
dieser Raum einem Brand zum Opfer und so entstand noch im selben Jahr
für die Musiktage 1955 aus einer Turnhalle die Stadthalle, die, wenn

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auch in umgebauter Form (vgl. unten), bis heute das Zentrum des Festes
bildet (Innenraumfotos/Ausschnitte: Melos, 11/1955; Neue Musik in der
Bundesrepublik Deutschland, Dokumentation 1958/59; Musica, 12/1958). Da
das Programm der "Tage" sich ständig ausweitete, das Wochenendkonzept
aber unangetastet bleiben sollte, stellte man von 1969 an dem "Saal A",
wie der eigentliche Stadthallensaal in den Programmheften nun heißt, den
sogenannten "Saal B" einer angrenzenden Halle zur Seite. Einer Halle im
übrigen, die eigentlich für Südbadens größte Zuchtviehauktionen und
Landwirtschaftsausstellungen gedacht war. Saal A wurde nach den 1969er
"Tagen" erweitert und innenarchitektonisch (d. h. auch akustisch) von
Grund auf neu gestaltet. In dieser Fassung stand er schon 1970 wieder
zur Verfügung. Sein "besonderes" Kennzeichen: Die Höhe ist im Verhältnis
zum Volumen etwas flach geraten. Seit 1974 trägt der ganze Stadthallen-
komplex die Bezeichnung "Donauhalle".
   Neben die Säle A und B traten im Laufe der Zeit noch etliche andere
Räumlichkeiten, so z. B. der Sternensaal (1972-1982: akustische
Spielformen, 1983: elektronische Klanggestaltung), der Rotkreuz-Saal
(1973[?], 1975, 1979: akustische Experimentalrealisationen), die Baar-
Sporthalle (1975-1984: allgemeines Programm) und die Museum-Lichtspiele
(1982-1984: akustische Spielformen; ehemals, allerdings nicht mehr nach
1970, Filmvorführungen). In diesem Zusammenhang sollte man auch auf die
oft miteinbezogene katholische Stadtpfarrkirche Sankt Johann hinweisen.

RR Donauhalle Donaueschingen/Saal A: wahrscheinlich rd. 8000 cbm (Mehr-
   zweckraum, rechteckiger Grundriß), 1,3 sec/Q 1970, großes Sinfonieor-
   chester (evtl. mit Chor), ca. 1200 Sitzplätze (Bedarfsbestuhlung, U-
   Rang). Innenraumfoto (nach dem Umbau): Romer/Roth, 1970.

   Eine auf Strawinsky bezogene Anmerkung zur Donaueschinger Programm-
gestaltung kann eigentlich nur damit beginnen, auf die immens hohe
Wertschätzung hinzuweisen, die die einstige SWF-Musikelite um Heinrich
Strobel diesem Komponisten gegenüber hegte. Es war eine abgöttische
Bewunderung, um es schlicht zu sagen. Wer hierzu Beispiele sucht, findet
sie auf Schritt und Tritt in der Zeitschrift "Melos", allerdings nur zu
der Zeit, als Strobel der Herausgeber war. Er war dies von der Neugrün-
dung an (1946) bis 1970 (bis zu seinem Tod also). Natürlich fragt man
sich angesichts eines solchen Stellenwertes sofort, welche Linie denn
die 1950 von der "Gesellschaft der Musikfreunde" berufene "dritte Donau-
eschinger Programmgeneration" eingeschlagen haben mag und wie darüber-
hinaus bislang in der "Post-Strobel-Ära" agiert wurde. Drei Antworten
lassen sich auf diese Fragen formulieren: 1) Konzerte mit Werken Stra-
winskys gab es lediglich in der "aktuellen" Zeit bis 1971, mit anderen
Worten: nach Strawinskys Tod endete dessen "Konzertpräsenz". 2) Die Zahl
der Erstaufführungen erreichte einschließlich der Aufführungen ungewohn-
ter Werke kaum das halbe Dutzend. Das ist auffällig wenig und steht in
krassem Gegensatz zur sonstigen Donaueschinger Rührigkeit. 3) In Über-
einstimmung mit dieser unter Punkt 2 beschriebenen kargen Bilanz ist
nicht zu übersehen, daß streckenweise eine seltsame Passivität
herrschte. So fielen z. B. fast alle interessanten Konzerte mit mehr
oder minder äußeren Anlässen zusammen (zwei dieser "Anlässe" sind auch
noch Sterbefälle): 1954, Konfrontation mit dem ersten Donaueschinger
Jazzkonzert "Jazztime" (vgl. In memoriam Dylan Thomas/Pears); 1957,
Strawinsky in Paris und Donaueschingen (vgl. Agon/Rosbaud); 1959, Tod
des Prinzen Max Egon zu Fürstenberg (vgl. Epitaphium/Mitglieder des SWF-
Orchesters); 1962, Strawinskys 80. Geburtsjahr (vgl. Dokumententeil:
1962 Donaueschingen); 1971, Strawinskys Tod (vgl. Introitus/Bour). Nach
1971, nach dem eben genannten Gedenkkonzert unter Ernest Bour, gab es
nur noch eine Veranstaltung mit Strawinsky-Bezug, und das war 1982 die

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Ausstellung zum 100. Geburtsjahr (sic, äußerer Anlaß) "Strawinsky in
Baden-Baden und Donaueschingen" (eine Programmübersicht von 1950 bis
1973 findet man im Programmheft 1974). Sicherlich, über Programmgestal-
tungen kann jeder streiten, manchem erscheint dies auch schon müßig.
Aber ganz abgesehen davon, wie man dazu stehen mag, ist diese Donau-
eschinger Mischung aus Paralyse und Anlaß-Automatik nicht doch ein
seltsamer Fall? Welche Ursachen mögen eigentlich dahinter stecken? Der-
zeit fällt nur zur Entwicklung der 50er Jahre eine halbwegs plausible
Vermutung ein. Es war wohl Strawinskys persönliche Allgegenwart in
Süddeutschland und insbesondere in Baden-Baden (vgl. unten), die ablenk-
te und damit die Programmpolitik maßgeblich beeinflußt bzw. gehemmt
haben dürfte. Und später? Vielleicht war dann der Anschluß verpaßt. Es
sei noch nachgetragen, daß man nicht Recht hat, wenn man behauptet, in
der Zeit bis 1971 wären zu wenig Strawinsky-Werke angeboten worden. Im
Gegenteil: Mit 26 Werken bzw. Werkeinheiten (allerdings von sehr unter-
schiedlicher Länge) ist die Gesamtzahl sogar relativ hoch, und das ist
sie selbst dann, wenn man die "Musiktage" nur für sich nimmt, also quasi
isoliert sieht. Denkbar gewesen wäre - eine andere Verteilung und
Aktivität vorausgesetzt - auch ein deutliches Weniger. Zweifellos wirkt
die Summe sehr günstig, aber man lasse sich von derlei "ganz normal"
wirkenden Einzelzügen nicht täuschen. Alles in allem ist, man mag die
Statistiken drehen und wenden wie man will, eine Art Verkrampfung und
Erstarrung nicht zu übersehen. Daß das auch anders geht, daß man auch
gelassener und entspannter mit dem Monument Strawinsky umgehen kann,
zeigen bzw. zeigten erheblich weniger berühmte Unternehmungen, so z. B.
die "mucia viva" in München oder "das neue werk" in Hamburg.
   Die Bänderdokumentation zum Donaueschinger Musikfest ist - soweit
zumindest Strawinsky-Aufführungen betroffen sind - alles andere als
optimal, doch immerhin: einiges blieb erhalten (bis jetzt jedenfalls).
Sehr überraschend ist zunächst, daß zu der vor 1950 einzigen Aufführung
eines Werkes Strawinskys tatsächlich ein Dokument existiert, auch wenn
es sich hierbei wohl "nur" um eine indirekt verwandte Vorwegproduktion
handelt (vgl. Cinq pièces faciles/Suite Nr. 1 für kleines Orchester/
Unkel, hier irrtümlich unter "Suite Nr. 2" eingeordnet). Gelöscht sind
die ersten beiden Aufführungen der "Strobel-Ära": Feuervogel-Suite 1945
(1950) und die Sinfonie in drei Sätzen (1952). Das Jahr 1954 brachte die
nächsten Aufführungen (vgl. In memoriam Dylan Thomas/Pears). Ein an-
schauliches Beispiel für den Begriff "Erhaltenheitsgrad" vermittelt die
Programmkopie im Dokumententeil: 1962 Donaueschingen. Wiedergegeben ist
das Programm des Kammerkonzerts vom 20. Oktober. Als akustische Zeug-
nisse für die acht Aufführungen sind nur vier Vorproduktionen auf uns
gekommen.
   Soweit neue Musik betroffen ist, schien es lange Zeit, als sollte das
Donaueschinger Fest das einzige leitthematische Engagement Baden-Badens
bleiben. (Vor allem Hans Rosbaud soll kein besonderer Freund irgendwel-
cher Ausschilderungen gewesen sein. Assoziierte er Warntafeln?) Aber
dann kam in der Saison 1965/66 doch eine Ergänzung hinzu: die Konzert-
reihe "ars nova". Sie existiert noch heute. Hinweisen sollte man auch
auf die gerade in jüngster Zeit mit Interesse aufgenommenen Veranstal-
tungen des in Freiburg ansässigen "Experimentalstudios der Heinrich-
Strobel-Stiftung des Südwestfunks e. V.". Einst, als sie sich zwischen
1968 und etwa 1972 zaghaft formierten - in Donaueschingen taucht der
Name zum ersten Mal 1972 auf -, da waren das fast noch familiäre
Insider-Treffen mit Seminarcharakter, häufigstes Thema: elektronische
Klangerzeugung. Mittlerweile aber entwickelten sich die Konzerte zu
einem größeren Unternehmen, das nun auch verstärkt andere Musikrichtun-
gen mitherumprobieren läßt und das durch sogenannte Gastkonzerte mobil
innerhalb und gelegenlich auch weit außerhalb der Sendegebietgrenzen

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agiert. Eine geglückte Idee, wird man sagen, genau das aber kann man von
einer Maßnahme, die die "ars nova" betraf, nicht behaupten. Mit Beginn
der Saison 1975/76 dehnte man nämlich dieses Unternehmen auf alle
Landesstudios aus. Dies bedeutete von der anderen Seite aus gesehen, daß
die Einrichtungen "ars viva" (Rheinland-Pfalz) und "Neue Musik" (Tübin-
gen) im Baden-Badener Projekt aufgingen. Für die Vielfalt ist so etwas
alles andere als förderlich. (Zur einstigen Freiburger "Musica viva" der
50er und 60er Jahre sollte angemerkt werden, daß der SWF nicht der
Veranstalter war, auch wenn er dort relativ häufig mit Gastkonzerten
hervortrat, als Träger fungierte vielmehr die Staatliche Hochschule für
Musik bzw. ihr Institut für Neue Musik.)
   Strawinsky war als Dirigent dreimal - 1951, 1954 und 1955 - im Baden-
Badener Musikstudio zu Gast und einmal in der Donaueschinger Stadthalle
(1957). Die Programme sahen wie folgt aus. 14. Oktober 1951: Ode, Sinfo-
nie in C, Scènes de ballet, Petrouschka; 21. Mai 1954: Jeu de cartes,
Capriccio für Klavier und Orchester (Solistin: Maria Bergmann), Vier
Klavieretüden (Maria Bergmann), Symphonische Stücke für Blasinstrumente,
Sinfonie in drei Sätzen; 22. April 1955: Concerto in D für Streichor-
chester, Vier Etüden für Orchester, Concerto in D für Violine und
Orchester (Solist: Heinz Stanske), Circus-Polka, Divertimento aus dem
Ballett "Der Kuß der Fee"; 19. Oktober 1957: Agon ("offizielle" europä-
ische Erstaufführung unter Strawinsky am 11. Oktober in Paris, vgl.
Agon/Rosbaud). Das Orchester war jeweils das SWF-Orchester, Voreinstu-
dierung: Hans Rosbaud. Außer von den "Vier Klavieretüden" existieren im
SWF-Archiv von allen Aufführungen Mitschnitte, zu allen vier Aufführun-
gen von 1954 sogar lange Probenaufzeichnungen (Einzelheiten zu allen
Aufnahmen vgl. Hauptteil bzw. Scharlau, 1972). Vom 15. bis 19. Oktober
1958 weilte Strawinsky wieder in Baden-Baden und Donaueschingen; er war
als Ehrengast zu den "Musiktagen" (18./19.  Oktober) eingeladen worden.
Dirigiert hat er während des ganzen Aufenthaltes aber nicht. Ob der
Komponist am 19. Oktober an dem Festgottesdienst in Donaueschingen teil-
genommen hat - hier dirigierte Herbert Froitzheim Strawinskys Messe -
konnte nicht geklärt werden (vgl. Mass/Froitzheim).
   Von Hans Rosbaud, dem in der sogenannten zeitgenössischen Musik als
Interpret und Förderer eine Wegbereiter-Rolle zugesprochen wird, müßte
es rein theoretisch zahllose Aufnahmen geben. Denn immerhin hatte er,
1962 gestorben, gut 30 Jahre lang mit Aufnahmenproduktionen zu tun
gehabt, wobei man allerdings hinzufügen muß, daß die Spätzeit eine
Dichte aufweist, die selbstverständlich von früheren Zeiten nicht im
entferntesten erreicht wird. Der größte Teil dieser Produktion entstand
für Rundfunkzwecke, und da Rosbaud auch tatsächlich viele Jahre seines
Lebens im Rundfunkdienst stand, kann man - mit der nötigen Vorsicht,
versteht sich - den Begriff "Rundfunkmusiker" in Betracht ziehen. Eine
Wendung, die angesichts des ephemeren Mediums "RundFUNK", sofort die
Fragen aufwirft, wieviel und vor allem welche Aufnahmen denn erhalten
geblieben sind. Derzeit sind hierauf keine endgültigen Antworten
möglich; dies wäre die Aufgabe eines speziellen Verzeichnisses, aber
gewisse Andeutungen kann man sich natürlich schon erlauben.
   Aus Rosbauds "Frühzeit" (bis etwa 1944) erwartet man wegen der
kriegsbedingten Verluste nicht allzuviel. Doch besitzt z. B. das
Deutsche Rundfunkarchiv in Frankfurt/Main vom damaligen Bestand ungefähr
35 Aufnahmen (darunter Rosbaud als Liedbegleiter am Klavier). Gemessen
an der umfangreichen Diskographie, die in den beiden Bänden der
"Schallaufnahmen der Reichs-Rundfunk G.m.b.H." wiedergegeben ist (und
diese beiden Bände umfassen nur die Jahre von 1929 bis 1939!), ist das
natürlich nur eine verschwindend kleine Sammlung. Aber immerhin, im
Verhältnis zu den Verlusten an RRG-Platten stellt sie doch so etwas wie
ein Vermächtnis dar. (Einige Eckdaten noch zur frühen Rundfunkzeit:

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Rosbaud war von 1928 bis 1937 für die Südwestdeutsche Rundfunk A.-G.
Frankfurt a. M. - ab 1934 Reichssender Frankfurt - tätig, danach
entstanden bis 1944 Einspielungen für Reichssender als Gast, z. B. in
Berlin, Hamburg, München und Straßburg.)
   Wesentlich schlechter bestellt ist es um die unmittelbare Nachkriegs-
zeit, als Rosbaud von Oktober 1945 bis 1948 Dirigent der Münchner Phil-
harmoniker war. Nur sehr sporadisch trifft man hier auf erhalten geblie-
bene Aufnahmen. Eine ist z. B. die im April 1948 für Radio München ein-
gespielte Kammeroper "Des Simplicius Simplicissimus Jugend" von Karl
Amadeus Hartmann (Aufnahmeort: Studio 1 des Funkhauses). Irgendeine
Aufnahme eines Werkes Strawinskys ist nicht überliefert, und damit auch
kein zeitlich wenigstens annäherndes Zeugnis zu den Ereignissen im
Sommer 1946, als im Brunnentheater die von Rosbaud geleitete szenische
Aufführung der märchenhaften (antimilitaristischen) Geschichte vom
Soldaten sechs Wiederholungen erfuhr (vgl. Karl Amadeus Hartmann und die
musica viva, 1980). Demnach ruht also die Hoffnung in Sachen Dokumenta-
tion der Nachkriegszeit ganz auf dem SWF, wo Rosbaud am 1. Oktober 1948
sein Amt antrat (vgl. unten). Hier aber hat der berühmte Zahn der Zeit
kräftig genagt (dies gilt übrigens nicht nur für die Anfangs- und Auf-
bauzeit). Wie am Beispiel Strawinsky die Situation für die Zeit von
Rosbauds Dienstantritt an bis zur Eröffnung des Musikstudios im November
1950 aussieht, zeigt die folgende Übersicht, wobei zwei Dinge zu beach-
ten sind: 1) Die Liste ist möglicherweise nicht vollständig. 2) Fünf
(vielleicht auch sechs) Aufnahmen dieser Liste dokumentieren bzw. doku-
mentierten direkt (durch den Konzertmitschnitt) oder indirekt (durch
eine Studioproduktion) deutsche Erstaufführungen (Einzelheiten siehe im
Verzeichnis selbst).
   1948, Danses concertantes (nicht überliefert); 1948, Concerto en ré
pour orchestre à cordes (nicht überliefert, keine Erstaufführung); 1949,
Orpheus (nicht überliefert); 1949, Mass (erhalten geblieben); 1949,
Pulcinella Suite (erhalten geblieben, keine Erstaufführung); 1949,
Pétrouchka (1947er Fassung, erhalten geblieben); 1950, Octuor (erhalten
geblieben, Erstaufführung fraglich); 1950, Firebird Ballet Suite (1945er
Fassung, nicht überliefert; Konzertmitschnitt von den Donaueschinger
Musiktagen, vgl. oben); 1950, Chant du rossignol (nicht überliefert,
keine Erstaufführung).
   Andere nicht überlieferte Bänder sind: Concerto en ré pour violon et
orchestre/Grumiaux (1951, Dirigent ebenfalls Rosbaud), Symphonie de
psaumes/Sacher (1951). Auch existierte einst von der Uraufführung des
Concerto en ré pour orchestre à cordes/Sacher ein Mitschnitt der
direkten Übernahme von Radio Basel (27. Januar 1947, nicht in dieses
Verzeichnis aufgenommen). Natürlich hat es in der frühen Zeit auch
Produktionen von Strawinskys Kammermusik gegeben; überliefert ist aller-
dings nichts. Sozusagen als letzter Zeuge existierte lange Zeit die Auf-
nahme Sonate pour piano/Scarpini (1950). Wo mochte sie wohl aufgenommen
worden sein, im Kurhaus, im großen Hörspielstudio des Hotels Tannenhof
oder gar im "Speisesaal-Studio" des Hotels Elisabeth? (Pietro Scarpini
nahm am 5. Februar im großen Bühnensaal des Kurhauses an einem der
legendären sonntäglichen Sinfoniekonzerte teil, der Dirigent war aller-
dings diesmal nicht Rosbaud, sondern Mario Rossi.)
   Zur Biographie Rosbauds sollte noch nachgetragen werden, daß man für
seine Berufung zum Chefdirigenten des SWF unterschiedliche Datierungen
findet. Zum einen die oben angegebene, zum anderen aber auch den 19.
September oder September ganz allgemein. Zwei Daten stehen fest: Gott-
hold Ephraim Lessing beendete seinen Dienst am 31. August und am 19.
September gab Rosbaud für den SWF ein Konzert. Ob dieser Auftritt noch
ein Gastkonzert war, wie es z. B. jene vom 14. Dezember 1947 und 20.
Juni 1948 gewesen waren? Wie dem auch ist, gemeinsam ist ihnen allen,

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daß sie in die oben erwähnte Reihe der Sonntagskonzerte gehören und daß
das Orchester - wenn die Hör Zu!-Programmausdrucke zutreffen - jeweils
die alte Bezeichnung trug (dies also auch noch am 19. September): Großes
Orchester des Südwestfunks (zu den Orchesterbezeichnungen siehe weiter
oben). Im Konzert vom 14. Dezember 1947 stand übrigens bereits ein Werk
Strawinskys auf dem Programm, das Konzert für Violine und Orchester in
D-dur [sic] mit Dénes Zsigmondy, Violine (der Mitschnitt - er existierte
definitiv - ist nicht überliefert).
   Was nun die Verluste angeht, so bemüht sich das SWF-Archiv seit
einiger Zeit selbst um Ersatz, wobei, wie man sich vorstellen kann, die
Erfolgschancen nicht sehr groß sind. Aber immerhin: Man muß einkalku-
lieren, daß in dem einen oder anderen Fall dieses Verzeichnis nicht auf
dem laufenden ist und die Markierung "$" (gelöscht) getilgt gehört.
Noch eine Bemerkung am Rande: Selbstverständlich hätte man auch auf
Strawinsky-Aufnahmen hinweisen können, die unter Lessing entstanden
sind. Da sie aber nicht mehr existieren, hätte dies gegenwärtig zu weit
geführt (zur Vorinformation vgl. die SWF-Konzertanzeige in Melos,
Dezember 1946).


Monat/Jahr             Aspekt                        Aufnahme
==========             ======                        ========

 5/1949*     a) Kurhaus (Spielcasino)/Roter    Mass/Rosbaud
                Saal(?)
             b) SWF-Orchester (doppeltes Blä-
                ser-Quintett)

 9/1949         SWF-Orchester                  Pétrouchka/Rosbaud

 9/1950         Kurhaus/Großer Bühnensaal(?)   Octuor/Rosbaud

 1/1951         Musikstudio (Studio 5)         Le baiser de la fée/Di-
                                               vertimento: Rosbaud

 6/1951         Kammermusikstudio (Studio 6)   Piano-rag-music/Kaul

10/1951         Strawinsky in Baden-Baden      Ode etc. (vgl. Hauptteil)

 5/1954         Strawinsky in Baden-Baden      Jeu de cartes etc. (vgl.
                                               Hauptteil)

 9/1954         Donaueschinger Musiktage für   vgl. In memoriam Dylan
                zeitgenössische Tonkunst**     Thomas/Pears

10/1954***      Donaueschingen/Alte Festhalle  Ebony concerto/Edelhagen

 4/1955         Strawinsky in Baden-Baden      Concerto en ré pour vio-
                                               lon et orchestre etc.
                                               (vgl. Hauptteil)

 1/1957         Unterhaltungs- und Hörspiel-   Ebony concerto/Edelhagen
                komplex (UKO)/Studio 1

10/1957      a) Strawinsky in Baden-Baden      vgl. Agon/Rosbaud (bzw.
                und Donaueschingen             Hauptteil)
             b) Donaueschingen/Stadthalle
                (alte Fassung)

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11/1958         Donaueschinger Musiktage/      Mass/Froitzheim
                Stadtkirche St. Johann
                (indirektes Dokument)

10/1964         Früheste Stereo-Eigenproduk-   Ode/Bour
                tion eines Werks Strawinskys

10/1971         Donaueschingen/Stadthalle      vgl. Introitus/Bour
                (neue Fassung)

 4/1982         Kurhaus/Weinbrennersaal        Ebony concerto/Glawisch-
                                               nig
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*Standort des Bandes: WDR **Früheres Dokument vgl. SDR-"Pantographie":
6/1946 (Suite No. 1 pour petit orchestre/Unkel) ***Standort des Bandes:
SDR



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Fassung 1985, Online: 15.9.2002, Version: 1.05, 18.11.2009 (Erläuterung: Intro 2002 ff.)

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