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Intro 2002 ff.                                              Seite A48a.x
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Pulcinella: Orchester-Suite, Partituren bis 2002, Editorisches 2

Die Copyright-Metamorphose

   Jetzt kommt in den Blick ein besonders überraschender, ein philo-
logisch gesehen, gepfefferter Fall, der, weil er werkübergreifend ist
und darüber hinaus die Rechtsauskunft massiv berührt, ausführlicher
diskutiert werden sollte. Betroffen ist das Element "Copyright-Block"
auf der ersten Notenseite unten links.
   Mitte der 1990er Jahre kam es bei Boosey & Hawkes zu einer editori-
schen Erneuerungsbewegung (siehe hierzu auch weiter unten). Und im
Gefolge dieser Aktivität wurde offenbar auch eine Umorganisation der
Rechtsinformation eingeleitet. Kaum eine andere Schlußfolgerung ist
jedenfalls in diesem Punkt möglich, wenn man sich die so unscheinbaren
Copyright-Formulierungen genauer anschaut, die seit Jahrzehnten auf der
besagten ersten Notenseite abgedruckt sind. Insbesondere deren Abände-
rungen aber sind es, die den ausgabengeschichtlichen Kenner - der übli-
che Notennutzer wird dort kaum einen Blick hinwerfen - aufmerken lassen,
wobei es sicherlich nicht verkehrt ist, mit Hilfe einer kleinen Doku-
mentation die Neuerungen deutlich zu machen, damit inbesondere auch,
in einem Atemzug, um Verwirrungen und vielleicht sogar Irritationen
vorzubeugen, die einstigen Sachverhalte nicht ganz in Vergessenheit
geraten.
   Einige Beispiele mögen erläutern, um was es hier geht. Zunächst zur
originalen Copyright-Angabe des Russischen Musikverlags (RMV) von 1924
in den Partituren des Pulcinella-Balletts und der Suite de Pulcinella
(vom Ballett liegt als Unterlage die Originalseite der einstigen Leih-
DiPa vor, von der Orchestersuite nur diejenige der StPa, allerdings:
deren Notentext ist eine Verkleinerung der DiPa). Der Eintrag lautet
in beiden Fällen:

   Copyright 1924 by Russischer Musikverlag, G. m. b. H., Berlin {*1}
   Russischer Musikverlag, G. m. b. H., Berlin, Leipzig
   Édition Russe de Musique

   Daraus entsteht 1949 in der Orchestersuite für die "Revised 1949
version" (so auf Titelseite) bzw. "Revised Edition" (so im Copyright-
Block) die folgende Rechtsauskunft:

   Copyright 1924 by Édition Russe de Musique (Russischer Musikverlag)
   for all countries. {*1}
   Printed by arrangement, Boosey & Hawkes, Inc., New York.
   Revised Edition Copyright 1949 in U.S.A. by Boosey & Hawkes, Inc.,
   New York.

   {*1} Allgemeine Zwischennote zum Fettdruck der Jahreszahlen: In der
   Regel sehen die Jahreszahlen in den Standardformeln wie eingesetzte
   Ergänzungen aus. Oft sind sie fett gedruckt. Doch nicht immer ist der
   Fettdruck deutlich auszumachen. Hat es zumindest etwas mehr als nur
   den Anschein eines Fettdruck, ist in dieser Diskussion der Copyright-
   Darstellung das Jahr fett wiedergegeben.

   Gegen die Version der "Revised Edition" dürfte, abgesehen davon, daß
in der ersten Zeile "Édition Russe de Musique" vor "Russischer Musikver-
lag" genannt und B & H New York statt B & H London als Vertragspartner
im Spiel ist, rechtssachlich, also grundsätzlich, wohl nicht viel einzu-
wenden sein, mit der Einschränkung jedoch, daß nicht klar ist, was die
zweite Zeile INHALTLICH eigentlich aussagen soll, auf wen und was genau
sie sich bezieht. Gedruckt wurde die Partitur laut StPa jedenfalls nicht
in den USA, sie trägt den Hinweis "Printed in England" und dies wird auf
der letzten Seite durch das Druckerkürzel "L.& B. 3·49" auch bestätigt
(siehe dazu oben).
   Aus der oben zitierten Rechtsauskunft wird 1966 in der Ballettparti-
tur:

   Copyright 1924 by Edition Russe de Musique (Russischer Musikverlag)
   Copyright assigned 1947 to Boosey & Hawkes, Inc., for all countries
   Revised Edition © Copyright 1966 by Boosey & Hawkes, Inc.

und 1970 in der Suitepartitur:

   Copyright 1924 by Édition Russe de Musique (Russischer Musikverlag)
   Copyright assigned 1947 to Boosey & Hawkes, Inc., for all countries
   Revised Edition © Copyright 1949 by Boosey & Hawkes, Inc.

   Die zweite Zeile ist jetzt unmittelbar verständlich, die Auskunft hat
einen deutlichen Informationsgehalt. Irgendetwas, rechtlich gesehen,
Unklares scheinen die beiden Fassungen jedenfalls nicht (mehr) zu ent-
halten.
   Wie auch immer, das alles soll uns hier nicht weiter beschäftigen,
wohl aber das, was 1999 in der Suite de Pulcinella kommt, zu sehen im
schon erwähnten Tripelband "Ballet Music" und auch in den ihm chronolo-
gisch nachfolgenden neuen Leih-Partituren der Suite (siehe weiter unten
das Kapitel "Tripel-Ausgabe 'Ballet Music'" und auch die Ausgabenauf-
stellung zur Suite de Pulcinella):

   © Copyright 1924 by Hawkes & Son (London) Ltd.
   Revised Version © Copyright 1949 by Hawkes & Son (London) Ltd.

   Die Copyright-Inhaber von Anfang an sind nun "Hawkes & Son Ltd.". Das
mag sehr erstaunen. Im Notendruckgeschäft ist daran allerdings nichts
Ungewöhnliches. Der Grund ist einfach: Urheberrechte kann man erwerben,
kaufen, was juristisch zu Umbenennungen führen kann - und vielfach auch
das Endergebnis ist. Im vorliegenden Fall erwarb, wie die früheren
Rechtshinweise zeigen, Boosey & Hawkes die Strawinsky-Partituren des
RMV, und genau das besagt "assigned to", "überschrieben, abgetreten
an". B & H - das ist das wahrnehmbare Bild - wurde der Besitzer und
Rechtsnachfolger, aber doch nicht schon 1924, sagt der Historiker. Und
seinem Einwand wird man sicherlich recht geben müssen. Denn was auch
immer geschieht, geschichtliche Tatsachen bleiben geschichtliche Tat-
sachen. Erwerben kann man sehr viel, diese nie.
   Darüber hinaus treten ja nun in der neuen Copyright-Formulierung
selbst Boosey & Hawkes nicht mehr als Inhaber auf, sondern eben "Hawkes
& Son (London) Ltd.". Mit was das zusammenhängen mag, ist genauso
schleierhaft wie die zeitliche Vordatierung, da Boosey & Hawkes als
Firma immer noch unter diesem Namen in Erscheinung tritt, also augen-
scheinlich noch existiert.
   Es ist also nur zu verständlich, daß die Neuformulierung "Hawkes &
Son (London) Ltd."- nach all den Jahren - Konfusion stiftet, zumindest
aber als höchst gewöhnungsbedürftig anzusehen ist. Der Kenner und Histo-
riker traut zunächst seinen Augen kaum (zur gesamten Sachlage vgl.
weiter unten in der Liste zur Suite de Pulcinella den Abschnitt "Seite
3", darin die Aufstellung zum Copyright-Block). Damit nun aber das Sich-
Wundern eine Grundlage und Perspektive bekommt, sollen noch ein paar
andere Fälle samt Beschreibungen folgen.
   Zuvor aber noch einen verlagsüberschreitenden Hinweis. Auch er zeigt,
wir haben es hier im Notenverlagswesen mit gängiger Praxis zu tun. Man
nehme die berühmte, von Schott verlegte Partitur des Feuervogel-Gesamt-
balletts zur Hand. Dieses einstige Moskauer Jurgenson-Produkt von 1910
glänzt auf der ersten Notenseite ganz unschuldig mit "© B. Schott's
Söhne, Mainz, 1933". Doch der Notentextstich stammt nicht von Schott
und ist auch nicht im Auftrag dieses Verlags entstanden! Somit ist klar,
man muß als Dokumentar, als quellenorientierter Historiker Flexibilität
üben, das heißt, man sollte sich mit Werdegängen und Zusammenhängen ver-
traut machen, sonst drohen Mißverständnisse aller Orten. (Übrigens: Auch
in der Schallplattenbranche ist Etikettenkauf und -wechsel gang und
gäbe. Hier stößt man sogar auf Etikettenschwindel, auf Bootlegging - und
das reichlich. Aber warum so weit in die Ferne schweifen, man denke nur
an den berühmt-berüchtigten Begriff Raubdruck.)

Zur Entwicklung

   Die Umwandlungsaktion im B & H-Haus begann offenbar - es kann hier
nur für die Strawinsky-Seite gesprochen werden - um 1995. In dieser Zeit
kam in einem modernen, ansprechenden Design die Wiederveröffentlichung
der "Kochanski-Suite" heraus (siehe weiter oben). Hier lautet der Copy-
right-Hinweis, ganz in der neuen Façon (außer "Copyright 1926" ist von
dem dreizeiligen Copyright-Block des Russischen Musikverlags, des Vor-
gängerverlags also, nichts übrig geblieben):

   © Copyright 1926 by Hawkes & Son (London) Ltd.

   Es folgten kurz darauf, Bibliothekserfassungen sagen 1997, in einem
ebenso eye-catching, bunten Front-Layout die Partituren der Werke
Pétrouchka und The Rite of Spring / Le Sacre du Printemps ("Le Sacre du
Printemps" ist in abgesetzter, verkleinerter Kursivschrift angegeben,
angemessener wäre dagegen die umgekehrte Reihefolge der Titel; beach-
te: die nachfolgenden Ausführungen zur Beschaffenheit gehen en détail
von der Sacre-Ausgabe aus, Pétrouchka lag zur Zeit der Niederschrift
nicht vor).
   Diese mittelgroßen Partituren (ca. 22,5 x 30 cm), Bände der Reihe
"THE BOOSEY & HAWKES MASTERWORKS LIBRARY", haben weder das Format einer
Studien- noch das einer Dirigierpartitur. Sie sind echte Drucke (keine
Kopien), haben stabile Fadenbindungen und ein präzises Notenbild. Ihr
Zweck allerdings ist nicht ganz klar, zumal die Studienpartituren
("Hawkes Pocket Scores") weiterhin im Sortiment sind. Sind die Bände
für Studien am Klavier gedacht? Dafür aber ist die Bindung zu stramm,
auf einem Klavierpult ist eine Nutzung nicht ganz einfach, umgeschla-
gene Blätter neigen in der Regel zur Rückkehr (so zumindest beim Sacre-
Exemplar).
   Gleichwie, eine Neuigkeit dieser Strawinsky-Masterworks-Bände inter-
essiert uns hier mehr: Sie haben, wie auch die oben genannten Ausgaben,
die ab etwa 1995 gedruckt bzw. herausgegeben wurden, das neue Copyright-
Muster, das im Fall der The Rite of Spring-Partitur wie folgt lautet:

   © Copyright 1912, 1921 by Hawkes & Son (London) Ltd[.]

   Kein Zweifel: Auch dieser Eintrag ruft bei dem, der die an dieser
Stelle gewohnten Formulierungen kennt, Verwunderung hervor. Hier ist
nicht nur, wie oben beschrieben, der RMV verschwunden, es ist auch eine
Jahreszahl eingeführt worden, nämlich 1912, für die eine Erklärung von-
nöten wäre. Hier sei darauf hingewiesen, daß die früheste gedruckte
Sacre-Notenausgabe nicht die RMV-Orchesterpartitur war - die erste
wurde 1921 gedruckt -, sondern der Klavierauszug, doch er hat auf der
ersten Notenseite (= Seite 9) im Copyright-Nachweis keine Jahreszahl.
Hier der Wortlaut:

   Russischer Musikverlag,Berlin,Moskau,St.Petersburg. [rechtsbündig:]
   Eigentum des Verlags.

   Auf der letzten Seite hingegen steht die Abschlußdatierung "Clarens
1913.", und man weiß, der KlA wurde 1913 gedruckt. Wo also kommt "1912"
her? Entstammt die Jahreszahl aus der Entstehungsangabe "1912-1913", die
auf der ersten Notenseite unter "Igor Strawinsky." vermerkt ist? Wenn
das so ist, kann man von Glück sagen, daß da nicht 1911-1913 steht, denn
nach der von B & H selbst herausgegebenen Skizzensammlung wäre, zumin-
dest streng historisch gesehen, diese Zeitspanne die angemessenere
Angabe.
   Der Copyright-Block des ersten RMV-Drucks der "PARTITION D'ORCHESTRE"
(so auf Deckblatt und Titelseite) sieht wie folgt aus:

   Copyright 1921 by Russischer Musik-Verlag G.m.b.H., Berlin.
   Édition Russe de Musique Berlin, Moscou, St. Petersbourg. [rechts-
   bündig:] Propriété de l'Éditeur pour tous pays.

   Genau diese Version weist auch der zweite Druck von 1929 auf, der
nach dem gegenwärtigen Wissensstand rein äußerlich von der Erstausgabe
nicht zu unterscheiden ist, außer daß er wohl auf der Titelseite eine
Kennzeichnung trägt, wie das zumindest in einem Fall handschriftlich
der Fall ist. Die Kennzeichnung lautet in Tinte oder vielleicht Tusche:
"Neue Fassung 1929". Irgendeine weitere Jahreszahl außer 1921 enthal-
ten die beiden Druckstufen nicht, wohlbemerkt: diese Aussage geht von
mir bis jetzt vorliegenden Unterlagen aus.
   Erstaunlich ist bei der von Boosey & Hawkes in der Masterworks-Reihe
herausgegebenen The Rite of Spring-Partitur auch, daß in dem neuen Copy-
right-Hinweis zu erwähnen vergessen wurde, Rechte sichernd auf die wich-
tigen Informationen hinzuweisen, die auf der Titelseite und der ersten
Notenseite stehen: "Revised 1947" und "Re-engraved edition 1967" (Titel-
seite), "Revised 1947" und "New edition 1967" (erste Notenseite). Nach-
geschoben sei aber sogleich, daß keine der bislang eingesehenen Leih-
und Studienpartituren der neuen Edition im Copyright-Vermerk eine derar-
tige Aktualisierung erfuhr (wie man sie beispielsweise in der Pulci-
nella-Ballettpartitur der revidierten Fassung antrifft) {*1}.

   {*1} Anzumerken ist, daß nicht nur die Masterworks-Ausgabe des Sacre
   den neuen Copyright-Hinweis "© Copyright 1912, 1921 by Hawkes & Son
   (London) Ltd[.]" aufweist, sondern daß auch eine 2009 eingesehene
   Sacre-Leihpartitur mit einem offenbar englischen Stempel vom "13 DEC
   1999" mit genau dem zitierten Hinweis ausgestattet war. (Auf Unter-
   schiede auf den ersten Seiten der Sacre-Partituren seit 1967, ins-
   besondere der Titelseite der Leihpartituren, kann hier nicht einge-
   gangen werden.)   

   Im Masterworks-Band gibt es nirgendwo und in keiner Form einen Ver-
weis auf den Originalverleger (RMV bzw. ÉRM), auch nicht im Vorwort von
Malcolm MacDonald. Und genau das ist das Schweigen, manche werden es
vielleicht als ein Verschweigen empfinden, das eben auch, wie hier des
öfteren angesprochen, in dem Tripelband "Ballet Music" sowie in den
beiden neueren Leihpartituren der Suite de Pulcinella von um 2001 und
2002 auffällt, wobei allerdings die beiden letztgenannten Sonderfälle
sind, sie sind schlicht und einfach nicht vollständig (Details zu diesen
Editionen siehe weiter unten).
   Nun ist es aber nicht so, als sei bei "Boosey" der Bezug zum RMV ganz
verschüttgegangen. Denn die laut deutschen Bibliothekserfassungen im
Jahr 2000 erschienenen Neuauflagen der Klavierauszüge zu Pétrouchka und
The Rite of Spring (Le Sacre du Printemps) nennen auf ihrem graphisch
ebenfalls neuzeitlich gestalteten Deckblatt neben "BOOSEY & HAWKES" auch
die "EDITION RUSSE DE MUSIQUE", nun aber gerade so als gäbe es die ÉRM
noch, oder anders aufgefaßt, vielleicht auch so, als wäre "EDITION RUSSE
DE MUSIQUE" so etwas wie eine aktuelle Reihenbezeichnung.
   Unten ist in einer verkürzten Aufstellung am Beispiel des Pétrouchka-
Klavierauszugs die Sachlage rund um die Verlagsangaben zusammenfaßt. Zu
finden sind da Details zur frühen RMV-Stufe und zu neueren B & H-Aus-
gaben.
   Und wie in diesem Pétrouchka-Überblick zu sehen, tragen, wie oben
schon angedeutet, bei den beiden Boosey & Hawkes-Ausgaben Deckblatt und
Titelseite (= Seite [1]) - je nach Fall in etwas unterschiedlicher
Schreibweise und Gestaltung - "Édition Russe de Musique" bzw. "Édition
Russe de Musique (S. et N. Koussewitzky)". Hierbei könnte man, zusätz-
lich zu den oben genannten Auffassungsmöglichkeiten, auf den ersten
(unkundigen) Blick vielleicht sogar denken, es handele sich um eine
Koproduktion. Erst ein Blick auf die Rückseite der Titelseite, es ist
eine gesonderte Copyright-Seite (= Seite [2]), vermittelt eine nähere,
eine Copyright-Entwickung darstellende Auskunft, die bei der Ausgabe von
um 1970 auch vom Copyright-Block auf der ersten Notenseite (= Seite 7)
bestätigt wird. Sofern man auf diese Nebenschauplätze überhaupt achtet,
dürfte wohl erst jetzt - angesichts des "Printed by arrangement, Boosey
& Hawkes, Inc., New York, U.S.A." - der Gedanke an eine Übernahme auf-
kommen. Eine klar in diese Richtung weisende Angabe kommt in den Pé-
trouchka-Noten aber auch vor, und zwar und immerhin in der Orchester-
partitur ("Full Score") der "Revised 1947 version", dies allerdings
scheinbar erst in Auflagen ab der Ausgabe mit dem Hinweis "Reprinted
with corrections 1965" auf der Copyright-Seite (= Seite [II]). Hier
steht sowohl auf der Copyright-Seite als auch im Copyright-Block der
ersten Notenseite das (oben schon angesprochene) deutlich andere, dem
"by arrangement" gegenüber weniger undurchsichtige "assigned [...]
to..."):

   Copyright 1912 by Edition Russe de Musique (Russischer Musikverlag)
   for all countries {*1} {*2}
   Copyright assigned 1947 to Boosey & Hawkes, Inc., New York, U.S.A.
   New version copyright 1948 by Boosey & Hawkes, Inc., New York, U.S.A.
   Copyright for all Countries

   {*1} Fettdruck der Jahreszahlen nur im Copyright-Block. 

   {*2} Nach meinen Unterlagen kommt die StPa auf den Stand "1912" und
   "Copyright assigned [...] to..." erst mit der Auflage August 1971,
   jedenfalls hat die Auflage Juli 1969 noch den alten Stand: ohne
   "1912" und mit "Printed by arrangement", und natürlich auch ohne
   "Reprinted with corrections 1965"!

   Kommen wir zum neuen Pétrouchka-KlA von wohl 2000 zurück. Bezüglich
der Rechtsinformation auf der Copyright-Seite (= Seite [2]), die von der
Ausgabe von um 1970 wörtlich übernommen wurde, ist nicht zu übersehen,
daß sie und die Copyright-Zuweisung auf der ersten Notenseite (= Seite
[7]) nicht nur einen eklatanten Widerspruch bilden, sondern das auch
noch in ein und demselben Heft, nämlich: "Copyright by Édition Russe de
Musique (Russischer Musikverlag)" versus "Copyright 1912 by Hawkes & Son
(London) Ltd."
   Überraschend ist auch, daß in dieser KlA-Ausgabe von 2000(?) im Copy-
right-Block die Jahresangabe 1912 auftaucht. Woher stammt diese Angabe?
Wohl von der B & H-Orchesterpartitur (siehe oben)? Aber wo kommt diese
her? Die Copyright-Nachweise der RMV-Originale jedenfalls - Klavieraus-
zug und Orchesterpartitur - haben keine derartige Jahreszahlangabe. Die
einzigen Datierungen, es sind Entstehungsdatierungen, stehen am Schluß
der letzten Notenseiten: "ROME MAI 1911." (KlA), "ROME 13/26 Mai 1911."
(DiPa, Beleg: StPa {*1}). Oder stammt die Angabe aus Unterlagen? Aller-
dings ist hierhinzuzufügen: Die Editionsforschung weiß inzwischen, daß
der KlA 1912 erschien. Aber das wäre eine Erscheinungs- und nicht unbe-
dingt auch eine Copyright-Datierung.

   {*1} Eine in jeder Hinsicht gut lesbare Kopie der letzten Seite der
   1911er RMV-Dirigierpartitur liegt mir nicht vor; meine StPa-Kopie
   scheint die Abschlußdatierung "ROME 14/26 Mai 1911." zu haben. Ein
   Unterschied von 12 Tagen zwischen dem julianischen und gregoriani-
   schen Kalender war aber im 19. Jahrhundert richtig, nicht aber im
   20. Jahrhundert. 1900 erhöhte sich der Unterschied auf 13 Tage. In
   allen bisher eingesehenen Nachdrucken der original RMV-Textes war
   die Abschlußdaierung wegretuschiert. White 1966 (S. 156), 1979 (S.
   194): "The manuscript of the full score, dated 13/26 May 1911, is
   with Boosey and Hawkes, New York."  

   Ähnlich überraschend liegen die Dinge bei der Januar 2009 veröffent-
lichten Studienpartitur der 1911er Fassung des Pétrouchka-Ballets 
(Hawkes Pocket Score, HPS 1368), eine "CORRECTED EDITION 2008", wie es
auf der Titelseite heißt. Die Copyright-Angabe auf den Seiten [II] und
[1] lautet "© Copyright 1912 by Hawkes & Son (London) Ltd" (zitiert nach
der "Second impression 2009", "Printed in Germany by WEGA-Verlag GmbH,
Mainz", WEGA-Verlag = Schott).
   Auch kam bei der erneuten Durchsicht meiner Unterlagen zum Vorschein,
daß in den Jahren 2007 bis 2009 sowohl eine Sacre-Leihdirigierpartitur
also auch eine einem Leihmaterial beigelegte Pétrouchka-StPa der "Re-
vised 1947 version", Ausgabe "Reprinted with corrections 1965", ausge-
liefert worden waren, die ebenfalls die hier diskutierten Copyright-
"Aktualisierungen" enthielten.
   Es liegt also ganz offensichtlich dem neuen Copyright-Zuweisungsmodus
eine systematische Geschäftsabsprache zugrunde, eine Umdeutung, über die
Aufklärung zu erhalten sehr hilfreich wäre. Nicht morgen und umständlich
durch staunende, vielleicht verwirrte Nutzer oder Dokumentare, sondern
jetzt und  heute und so direkt und authentisch wie möglich. Nur so kann
Mißverständnissen und Fehleinschätzungen vorgebeugt werden.
   Und last but not least: Es geraten immer wieder neue Fälle in die
Untersuchungsperspektive. So eine Leihpartitur des Klavierkonzerts, des
Concerto pour Piano suivi d'Orchestre d'Harmonie (Originaltitel), im
Kleid der hellblauen Serie, der spiralgebundenen neueren Machart also
(zu dieser siehe weiter unten). Zu registrieren war auch hier die Strei-
chung des gewohnten RMV-Bezugs. Die neu einkopierte Rechtsinformation
lautete:

   © Copyright 1924 by Hawkes & Son (London) Ltd.

   Weiteres Beispiel: Concerto en Ré pour orchestre à cordes (1946, re-
vidierte Fassung, 1947-1949?). Eine neuere Studienpartitur hat auf der
ersten Notenseite (Seite 1) den folgenden Copyright-Block:

   © Copyright 1947 by Hawkes & Son (London) Ltd.
   Revised Version © Copyright 1961 by Hawkes & Son (London) Ltd.
     
   Die Jahreszahl 1961 tauchte 1961 oder kurz danach auf, ist aber
sicherlich ein Irrtum, wie überhaupt die Partituren dieses Werks ein
paar Rätsel aufgeben. 1961 sollte vielleicht 1951 lauten. Das käme eher
hin. Aber warum erfolgte eine Angabe dann erst so spät?
     
Editorische Wandlungen - Vergleichsliste I: Aufstellung zum Pétrouchka-
Klavierauszug

Hinweis: Auf die Darstellung fett gedruckter Jahreszahlen wurde in
         diesem skizzenartigen Überblick verzichtet.

A) Originalausgabe Russischer Musikverlag (RMV bzw. ÉRM, 1912)

   1) Deckblatt (Deckel):

      Unbekannt (Vorlage: Bibliotheksexemplar mit neuem Einband, Ein-
      gangs- oder Erfassungsjahr: 1926)

   2) Seite [I] (Titelseite) {*1}:

      Details hier ausgelassen

      {*1} Zur Zählung: Vor Seite 7 (= erste Notenseite) hat das vor-
      liegende Exemplar nicht sechs, sondern acht unpaginierte Seiten,
      wenn man das Titelblatt als Seite [I] und [II] zu der "stummen"
      Zählung Seite [1] bis [6] hinzurechnet.
      Demgegenüber hat der revidierte Auszug von B & H (siehe unten)
      einschließlich des neugestalteten Titelblatts nur sechs ungezählte
      Seiten, und das, obwohl keine der vier Seiten mit Text unter den
      sechs Seiten, die im RMV-KlA dem Titelblatt folgen, ausgelassen
      wurde. Grund: Es wurden zwei leere Seiten gestrichen. Übrigens
      liegt in der B & H-Ausgabe eine andere Reihenfolge vor.

      Allgemeine Anmerkung: Der RMV-KlA hat ein russisch-französisches
      Layout, der revidierte B & H-KlA ein englisch-französisches.

      Das Exemplar wurde einst mit vielen anderen Strawinsky-Noten von
      den Städtischen Volksbüchereien Frankfurt am Main, Abteilung
      Musikalien, angeschafft, zu einer Zeit als in der Weimarer Repu-
      blik in Frankfurt eine lebhafte Szene für neue Musik existierte
      (Stichworte: Hindemith, Strawinsky, Adorno, Dr. Hoch'sches Kon-
      servatorium). Diese öffentliche Strawinsky-Sammlung, die wohl
      weltweit eine Besonderheit war und sich recht genau rekonstruie-
      ren läßt, war glücklicherweise über den Krieg gerettet worden,
      erlitt aber im Ausleihprozeß dann doch schlimme Verluste. Einige
      wenige verbliebene Reststücke werden seit 2009 an anderer Stelle
      verwahrt (Weiteres bei Gelegenheit).

   3) Seite [II]

      Unbedruckt

   4) Seite 7 (erste Notenseite, unten rechts): Copyright-Block

      „EDITION RUSSE DE MUSIQUE” (RUSSISCHER MUSIKVERLAG G.m.b.H.)
          [zentriert:] BERLIN,MOSCOU,ST.PETERSBOURG.

      Allgemeine Anmerkung: Auf dieser Seite 7 ist unter der Autoren-
      angabe in russischer und lateinischer Schrift "Igor Strawinsky."
      keine Angabe zur Entstehung angegeben, dafür aber auf der letzen
      Notenseite (siehe nachfolgend).

   5) Seite 84 (letzte Notenseite):

      Kein Druckdatum, doch mit der Entstehungsdatierung "ROME MAI
      1911." und der Druckerangabe "Imp. [Imprimatur] C. G. Röder,
      Leipzig.". Im 1947 revidierten KlA sind diese Angaben wegretu-
      schiert.

      Anmerkung: Dieses RMV-Exemplar gehört vermutlich einer 2. Auflage
      an. 

B) Ausgabe Boosey & Hawkes um 1970 (Exemplar mit Verlags-Annonce 7.65)

   1) Deckblatt {*1}:

      igor Stravinsky
      petrouchla
      piano duet
      revised 1947 version
      édition russe de musique · boosey & hawkes

      {*1} Kleinschrift-Layout, rote Lettern auf grau-grün-khaki-farbe-
      nem Kartonpapier. Gleiche Gestaltung, wie sie z.B. der in den
      1960er (und/oder 1970er?) Jahren gedruckte Klavierauszug zu "le
      rossignol" oder auch die (einst?) käufliche, 1970 aufgelegte
      Orchesterpartitur der "pulcinella suite" aufweisen (siehe hierzu
      weiter unten die Abbildung und die Ausführungen zur Suite de
      Pulcinella).

   2) Seite [1] (Titelseite, englisch-französisch) {*1}:

      [...]
      Édition Russe de Musique (S. et N. Koussewitzky) · Boosey & Hawkes
      London . Paris . Bonn [...] New York

      {*1} Zur Paginierung siehe oben unter RMV.     

   3) Seite [2] (Copyright-Seite) {*1}:

      Copyright by Édition Russe de Musique (Russischer Musikverlag) for
      all countries
      Printed by arrangement, Boosey & Hawkes, Inc., New York, U.S.A.
      New version copyright 1948 by Boosey & Hawkes, Inc., New York,
      U.S.A.
      Copyright for all Countries
      [...]

      {*1} Dieser Copyright-Hinweis so auch auf S. [7] im Copyright-
      Block, dort allerdings "Edition" (ohne Accent aigu) und "Printed
      in England" statt "Copyright for all Countries" (siehe unten).
      Wortlaut des Hinweises auf S. [2] unverändert auch in der Neuauf-
      lage 2000(?) (siehe unten). 

   4) Seite [7] (erste Notenseite, unten links): Copyright-Block

      Copyright by Edition [sic] Russe de Musique (Russischer Musikver-
      lag) for all countries
      Printed by arrangement, Boosey & Hawkes, Inc., New York, U.S.A.
      New version copyright 1948 by Boosey & Hawkes, Inc., New York,
      U.S.A.
      Printed in England

   5) Seite 84 (letzte Notenseite):

      Wie bei der Auflage 2000(?) keine Druckdatierung (siehe unten)

C) Ausgabe Boosey & Hawkes 2000(?)

   1) Deckblatt
   
      IGOR STRAVINSKY
      PETROUCHKA
      REDUCTION FOR PIANO DUET
      REVISED 1947 VERSION
      BOOSEY & HAWKES [-] EDITION RUSSE DE MUSIQUE

   2) Seite [1] (Titelseite, englisch-französisch):

      [...]
      EDITION RUSSE DE MUSIQUE (S. et N. Koussewitzky)
      BOOSEY & HAWKES MUSIC PUBLISHERS LIMITED
      www.boosey.com

   3) Seite [2] (Copyright-Seite) {*1}:

      Copyright by Édition Russe de Musique (Russischer Musikverlag) for
      all countries
      Printed by arrangement, Boosey & Hawkes, Inc., New York, U.S.A.
      New version copyright 1948 by Boosey & Hawkes, Inc., New York,
      U.S.A.
      Copyright for all Countries
      [...]

      {*1} Wortlaut mit der Seite [2] des Drucks um 1970 identisch

   4) Seite [7] (erste Noteseite): Copyright-Block (Abänderung!)

      © Copyright 1912 by Hawkes & Son (London) Ltd.
      Revised version: © Copyright 1948 by Hawkes & Son (London) Ltd.
      U.S. Copyright renewed.

   5) Seite 84 (letzte Notenseite):

      Wie bei der Auflage um 1970 keine Druckdatierung (siehe oben)

   Anmerkung zu den neuen KlA-Ausgaben Pétrouchka und Sacre (Rite): Sie
eignen sich für Aufführungszwecke nur bedingt. Zwar haben sie eine
brauchbare Größe (ca. 23,2 x 31,1 cm), eine recht gute Notenwiedergabe
und auch eine stabile Fadenbindung. Doch leider ist die Bindung zu
widerspenstig ausgefallen, sie macht das Umblättern zum Geduldsspiel.
Ganz anders die einstigen RMV-Ausgaben oder auch die B & H-Dirigier-
partiturausgabe der Suite de Pulcinella von 1970 (siehe weiter unten):
Sie alle haben zwar auch stabile Fadenbindungen, diese sind aber auch
auf Pulten ausgesprochen dienlich, das heißt, sie sind bequem und zu-
verlässig blätterbar.

Tripel-Ausgabe "Ballet Music"

   Zum Schluß dieser kurzen Einführung in die Problematik der neuen
Copyright-Angaben noch ein weiterer nennenswerter Fall. Es handelt sich
um den schon genannten von Boosey & Hawkes in der Reihe "The Master-
works Library" 1999 (zur Datierung siehe unten) herausgegebenen Sammel-
band "BALLET MUSIC / MUSIQUE POUR LE BALLET / BALLETTMUSIK". Er enthält
drei Werke der neoklassischen Schaffensepoche: "Pulcinella Suite / (re-
vised 1949 version)", "Apollon Musagète / (revised 1947 version)" und
"Le Baiser de la Fée / (revised 1950 version)". Bei allen drei Wieder-
gaben ist der auf der ersten Notenseite der gewohnten B & H-Einzelaus-
gaben mitgeteilte Copyright-Block mit dem Nachweis des ursprünglichen
Inhabers RMV, wie oben dargestellt, zur "Hawkes & Son (London) Ltd."-
Version verkürzt und umgewandelt worden. Natürlich wurde keines der drei
Werke für diese Ausgabe neugesetzt, geschweige denn neu bearbeitet.
Verwendet wurden vielmehr, soweit die eigentlichen Notentexte betroffen
sind, die seit langem verlegten B & H-Drucke. Dies heißt auch, die
"Pulcinella Suite" und "Apollon Musagète" sind die B & H-Neustiche
von einst, anders der Fall "Le Baiser de la Fée". Hier wurde für die
sogenannte "revidierte Fassung" der alte RMV-Druck, ursprünglich 1928
erstellt, als Grundlage genommen. Und somit bezieht sich das "Hawkes &
Son (London) Ltd." zu allem Überfluß auch noch auf einen nicht haus-
eigenen Notensatz. Der neue Copyright-Block für das überaus typische
RMV-Druckbild lautet auf der ersten Notenseite der Abteilung "Le Baiser
de la Fée" wie folgt:

   © Copyright 1928 by Hawkes & Son (London) Ltd.
   Revised version © copyright 1952 by Hawkes & Son (London) Ltd.

   Über die Ausgabe "Ballet Music", eigentlich ein Buch in großem Foto-
albumformat, ist nicht viel zu sagen. Die Notentexte als solche sind
bekannt. Neu gedruckt sind um der Einheitlichkeit willen die jeweiligen
Inhaltsangaben, die Partien der Titel- und Untertitel. Es kam ein drei-
sprachiges Vorwort von Malcolm MacDonald hinzu (englisch, französisch,
deutsch). Irgendeinen neuen Aspekt vermittelt es nicht, der Inhalt
kommt über das Niveau eines sehr kursorischen Konzertführeres nicht
hinaus. Zur "Pulcinella Suite" ist - in den drei genannten Sprachen - 
eine Handlungsbeschreibung abgedruckt, die zwar mit "PULCINELLA SUITE" 
betitelt wurde, doch die Handlung des Geamtballetts zum Thema hat. Die
englische Fassung fußt auf der mit "ARGUMENT" betitelten Darstellung der
revidierten Gesamtballett-Partitur von 1966. Die französischen und
deutschen Versionen sind Übersetzungen dieser neuen englischen Fassung.
Bezüglich der französischen Übersetzung gilt noch festzuhalten, daß sie
und das französische "ARGUMENT" im 1920 vom Chester-Verlag veröffent-
lichten (und heute noch im Sortiment befindlichen) Klavierauszug zwei
völlig verschiedene Fassungen sind.
   Ein Gedanke noch zum vorgeblichen "Inhalt" der "Pulcinella Suite": Ob
aus diesem Werkauszug überhaupt eine Handlung herauszulesen ist, ist im
übrigen mit gutem Grund sehr zu bezweifeln. Was aber natürlich nicht
heißt, die Suite sei von vornherein für Ballettzwecke nicht tauglich.
   Die Reihe "The Masterworks Library" wurde in den 1990er Jahren be-
gonnen, und es ist neben den Orchesterpartituren Pétrouchka, The Rite
of Spring (beide 1997, siehe oben) und der "Ballet Music" 1998 noch ein
weiterer Sammelband erschienen, ein Double: Oedipus Rex zusammen mit
der Symphony of Pslams. Das Format dieser mittelgroßen Bände ist immer
gleich, sie sind größer als Studienpartituren, kleiner als Dirigierpar-
tituren. Für Dirigate ist die kompakte Bindung eigentlich ungeeignet,
wie oben schon gesagt, der praktische Zweck der Ausgaben ist nicht klar.
Alle diese Notentexte sind keine "Neuausgaben" oder "Neustiche". Aller-
dings weisen die Einbände im Gegensatz zu den traditionellen Ausgaben
graphisch und farblich ansprechend gehaltene Einbände auf.
    Da die "Ballet Music"-Ausgabe eine eigene Seitenzählung hat, ist
für unser Thema hier sicherlich von Vorteil, sie detailliert mitzutei-
len:

          X, SUITE DE PULCINELLA, Notentext:   1- 74
     75- 76, APOLLON MUSAGÈTE, Notentext:     77-115
    116-118, LE BAISER DE LA FÉE, Notentext: 119-262

    Eine gesonderte Druck- oder Copyright-Datierung enthält der in Eng-
land hergestellte Band nicht, bezogen auf das Vorwort gibt es allerdings
den Hinweis "Preface © Copyright 1999 by Malcolm MacDonald" (S. [II]).
   Im Hinblick auf die weiter unten wiedergebene Aufstellung zur Suite
de Pulcinella muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß diese Ausgabe -
da die Titelgebung des Sammelbands auf Deckel und Titelblatt naturgemäß
nicht der einer Einzelpublikation entspricht - nur im Rahmen der Hin-
weise, die die erste Notentextseite betreffen, in den Vergleich einbe-
zogen wurde, und dies auch nur mittels Fußnoten.

Zum Geburtstag - zum Abschied

   Igor Strawinsky wurde am 17. Juni 1970 88 Jahre alt ("17. Juni" nach
gregorianischer Zeitrechung). Graphisch ist "88" die rundeste aller
Schnapsgeburtstagszahlen. Doch ganz abgesehen davon, im Verlagshaus
Boosey & Hawkes wird man sich nicht nur der Graphik bewußt gewesen
sein. Zwar sind bislang kaum Interna über das Verhältnis Strawinsky
und Boosey & Hawkes an die Öffentlichkeit gelangt, doch eines wird man
auch ohne Unterlagen getrost annehmen dürfen, im Kalender des Verlags-
hauses, Boosey & Hawkes war Strawinskys Hauptverleger, werden die Ge-
burtstage des Star-Komponisten rot und dick eingezeichnet gewesen sein.
    Deshalb würde auch nicht verwundern, wenn die hier schon mehrfach
erwähnte Neuauflage der 1949er Dirigierpartitur der Suite de Pulcinella
mit diesem Datum zusammenhinge, denn gedruckt wurde sie, wie das Druck-
sigel "4·70 L & B" (siehe hierzu oben) am Schluß des Notentexts besagt,
im April 1970. Bemerkenswert ist zudem, daß sie nicht nur als Leihpar-
titur zur Verfügung gestellt wurde, sondern in gleicher Größe (Seiten-
format rund 33 x 26 cm) auch als Kaufexemplar auf den Markt kam. Dies
ist ganz offensichtlich ein Sonderfall. Denn soweit bis jetzt bekannt,
war sie die einzige Dirigierpartitur eines Strawinskyschen Werkes -
zumindest seit sehr langer Zeit -, die bei Boosey & Hawkes ins Handels-
sortiment kam. Wann genau das war, ist noch nicht geklärt, nach deut-
schen Bibliothekserfassungen 1971, also im Todesjahr des Komponisten.
Er starb am 6. April. Somit besteht aller Wahrscheinlichkeit nach eine
zeitliche Nähe zwischen der Neuauflage der "Pulcinella Suite" und dem
Tod des Komponisten (genauer gesagt: des Arrangeurs).
   Mehr noch, vermutlich steckt eine Tragik in den Vorgängen: Was wohl
ein besonderes Geburtstagspräsent werden sollte, wurde ein Abschieds-
gruß, in Anlehnung an den "Tombeau de Claude Debussy" (1920) und das
"Epitaphium für das Grabmal des Prinzen Max Egon zu Fürstenberg" (1959)
ein virtueller "Tombeau de Igor Stravinsky" {*1}.
   An ein "Tombeau de Igor Stravinsky" läßt allerdings die äußere Ge-
staltung der Leih- und Kauf-Dirigierpartitur nicht denken. Ihr Deck-
blatt ist in dem Kleindruck-Layout gehalten, das Boosey & Hawkes in
dieser Zeit pflegte: knallrote Aufschrift in Kleinbuchstaben auf grau-
grün-khaki-farbenem Kartonpapier. Das ist die Aufmachung, mit der z.B.
auch die zeitgenössischen Auflagen der Klavierauszüge zu "petrouchka"
und "le rossignol" erschienen (Abbildung: Tafel 4).

   {*1} Auf eine abwegige Auslegung sollte ein auf Seite [2] in der
   Besetzungsangabe okkult anmutender orthographische Fehler nicht
   führen. "Tombone" heißt es da, was mit etwas Phantasie als "Grab-
   gebein" dechiffriert werden könnte. Aber eine Freudsche Fehl-
   leistung welcher Art auch immer ist das nicht. Es ist vielmehr ein
   schlichter Druckfehler, den nicht nur die Leih-, sondern auch die
   Kauf-Partitur auweist, ja sogar noch die Auflage der Studienparti-
   tur, deren Erscheinungsjahr auf ca. 1979 angesetzt werden kann. Der
   Fehler befindet sich im übrigen schon in der Erstausgabe der Diri-
   gierpartitur (gedruckt 1949). Die Studienpartiturausgaben von 1949
   und 1961 haben den Fehler, weil die Seite [2] ein Neusatz ist,
   nicht, ebenso wenig hat ihn die "Tripel-Ausgabe" von 1999, auch
   hier ist die Besetzungsangabe eine Neuabfassung (sie wurde von der
   französischen in die englische Sprache übersetzt, mit "Trombone"
   selbstverständlich). Zu den beiden eingesehenen Leih-Dirigierpar-
   tituren von um 2001 und 2002 kann keine Aussage getroffen werden,
   denn die Besetzungsseite fehlt jeweils (Details zu den Ausgaben
   siehe weiter unten die Aufstellung).

   Aber nicht nur das äußere Bild der Dirigierpartitur änderte sich,
auch die Titelseite erfuhr Abänderungen. Bisher, d.h. von 1949 bis zu
einer Auflage von ca. 1966, war sie französisch gehalten, nun wurde
sie englisch, wie ja auch die Titelseite der StPa schon spätestens
1961 eine englische Titelgebung erhalten hatte (beachte: zu den "fran-
zösischen" Titelseiten siehe weiter unten die Auflistung). Ein weiterer
Wechsel geschah in der Schreibweise "Strawinsky", ab jetzt "Stravinsky"
(mit "v"). Das ist keine Nebensächlichkeit. Man folgte darin der schon
seit längerem eingeführten Schreibweisenänderung, denn es war Strawin-
sky nach seiner Übersiedlung in die USA wohl sehr schnell klar gewor-
den, daß die englische Aussprache der Schreibweise "Strawinsky" eine
etwas seltsame, eine komische Bedeutungsfärbung erhalten kann, was mit
"Stravinsky" weitgehend vermieden wird. Ein Letztes: Auf der ersten
Notenseite verschwand der Strohmann-Hinweis "Albert Spalding" (siehe
oben), demgegenüber ist der Rückbezug auf "Pergolesi" in der Partitur
nirgends mit einem Fragezeichen oder einer Fußnote eingeschränkt wor-
den. Danach gälte er also unbeirrt weiter (zu den geäußerten Zweifeln
- Walker 1949, Cudworth 1949 und White 1966 - siehe die Ausführungen
hier an anderem Ort; es gab im übrigen schon 1963 und 1966 erste hand-
feste Identifikationen, gemeint ist Gallo, aber diese Bekanntmachungen
geschahen vielleicht für die Boosey & Hawkes-Welt, und für die Stra-
winsky-Welt ganz sicherlich, auf zu weit abseits gelegenem Literatur-
Terrain).
   Soweit Details (und Mutmaßungen) zum letzten, noch zu Lebzeiten
Strawinskys zustande gekommenen Notendruck, der gleichzeitig, so scheint
es, auch die erste Ausgabe war, die im Todesjahr 1971 erschien.
   Neben dem oder statt des üblichen khakihaften Äußeren mit knallroter
Schrift wäre vielleicht ein Sonderdruck in memoriam denkbar gewesen,
nicht gerade in der folgenden Form, etwas ansehnlicher schon:

Tombeau de Igor Strawinsky
Tombeau virtuel de Igor Stravinsky (Vergrößerung: Tafel 4)
Die deutsche Leihpartitur der 1970er Ausgabe Mit Exemplaren der neuen 1970er Auflage, der "Geburtstags- und Ab- schiedsauflage" sozusagen, wurde auch die lange in Bonn ansässige deutsche Boosey & Hawkins-Filiale versorgt, und zwar offensichtlich mit den üblichen Kauf-Exemplaren. Diese wurden neu eingebunden, sie erhiel- ten den damals bei "Boosey Deutschland" üblichen dunkelblauen Spezial- einband aus steifem, sehr festem Aktenkarton (dunkelbaues Papier auf Pappe aufgeklebt), schwarzes Leinen für Rücken und vordere Längskante (Stoßkante). Ein stabiles, solides, sorgfältiges Produkt, für den rau- hen Leihverkehr planvoll gerüstet (Außenmaße, Partitur "1": ca. 27 x 33,5 cm). Exemplare dieser editorischen Stufe, zahlreiche Komponisten und Werke umfassend, sind noch reichlich im Einsatz. Juli 2010 sah ich Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester, die Partituren "6" und "7". Der Solidität des Einbands entsprach die neu gefertigte, gediegene, dem "guten Buch" nachempfundene Fadenbindung. Allerdings ruhten auch die damaligen Kaufpartituren in solch einer Fadenbindung, die jedoch für die Bonner Neueinbindung entfernt wurde (in der Regel sind die alten Löcher noch zu sehen). Wer im Rahmen des Geschäfts "Neueinbin- dungen von Großpartituren für Bibliothekszwecke" handwerkliche Wert- arbeit ausfindig machen will, sozusagen eine Spur der legendären - allerdings auch allzu tunnelblickartig gepriesenen - "deutschen Wer- tarbeit" der Zeit (hier auf englischer Grundlage versteht sich) sollte sich diese Leihpartiturenserie zeigen lassen. Schlichtes Äußere, sachlich, dienlich, vor allem: zuverlässig beim Umblättern. Zudem sind sie Drucke, und nicht wie die weiter unten beschriebenen neueren Serien spiralgebundene, verschleißanfällige Fotokopieprodukte; Pro- dukte aber, die natürlich - angesichts der hohen Verlustrate, die bei Leihpartituren die Realität ist - den Vorteil der schnellen und weit- aus kostengünstigeren Reproduzierbarkeit haben (so ist eben der Geist unserer Zeit). Es kommt auch hinzu, daß die spiralgebundenen Partitu- ren - da ohne Kartoneinband - erheblich leichter sind und somit bei Einsparübungen von Portogebüren förderlich sein können. Überall aber gibt es den berüchtigten Wermutstropfen: Die alten Aktenordenerparti- turen weisen oft einzelne Lagen mit Klebeverstärkungen auf, die beim Umblättern nicht selten Längsknicke, ja Falzen entstehen lassen. Da- durch kann schnell drohen, daß bei heftigem, unkontroliertem Ge- brauch, Blätter ein- oder sogar abreißen. Wieviele Exemplare der deutschen Leihpartitur "Pulcinella-Suite" hergestellt worden waren, ist mir nicht bekannt, doch die Exemplare "1" und "4" hatte ich in der Hand. Sie gleichen sich wie ein Ei dem andern (zu "1" siehe im Haupttext die Abbildung des Etiketts mit der Titel- gebung). Zum Zustand nebenbei bemerkt: Exemplar "1" sah beim "Einseh- termin" April 2010, vor allem innen, nach 40 Jahren Dienst gehörig ramponiert aus (u.a. lose Doppelblätter, zahllose Eintragungen bis vielfaches Eintragungsgeschmier, siehe hierzu unten), doch Kandidat "4" war insgesamt noch gut drauf (Abbildung Exemplar "1": Tafel 4). Zum Stand Pulcinella-Suite Editorisches siehe Abteilung 4 Weiter [intro04n]

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